Lyrik

Dorta Jagić: Geschlossenen Zimmer

Dorta Jagić wurde 1974 in Sinj geboren. Sie schreibt Gedichte, Kurzgeschichten, Dramen und Theaterkritiken und übersetzt aus dem Englischen und Deutschen. Seit 1999 lehrt und leitet sie zahlreiche Amateur Thatergruppen.

Ihr Werk wurde weitgehend übersetzt.



 

Gedichte auf Deutsch, aus dem Zyklus "Geschlossenen Zimmer"

 

 

Herbstbaumzimmer

 

Nachts in feuchten Schlafzimmern der Oberstadt

wachsen aus aufgeplatzten Parkettböden

riesige Stammbäume wie Baobabs

aus ihren schweren Ästen ragen

schwarze Strähnen abgeschnittenen Haars

und trockene Blätter familiären Rechts

niemand ist wach

alle schlafen irgendwo unter den Wurzeln

während sich in den Kronen dieser Riesen

ein neuer städtischer Herbst zusammenbraut

alles wäre trocken würde nicht

das ganze Jahr lang aus den Baumwipfeln

der Regen wie alter Champagner hinab fließen

und sich über die staubigen Tapeten und alle Dinge gießen

die Tropfen prasseln auf große schmutzige Spiegel

an der Wand verformen sich Bilderrahmen

sie fallen, stecken wie Messerspitzen

im Boden fest und befreien die abgemagerten Gesichter

die mit einem Luftzug die Straße hinab geblasen werden

im Schatten der Blätterhaufen verwelken

vergessene

Schaufel und Eimer

Schokolade

 

 

 

Hotelzimmer

 

Manchmal

in einigen unaufgeräumten Zimmern

des alten Hotels Babylon

gibt es keine Hausschuhe aus Plastik und keine billige Bilder mehr,

verdampft sind sie vom Nichtberühren, und auch die Nachttischlampen

sind lautlos durch den Teppich in die Nacht versunken,

nirgendwo eine Menschenseele zu spüren,

nur tote Fliegen an den Gardinen,

ein fahles Licht an der Decke summt einen tiefen Halbton,

zwei dicke Stricke liegen auf dem Boden

wie eingeschlafene schwangere Schlangen,

sie melden sich nicht am Telefon.

Inmitten des Zimmers sitzt ein

sog. kräftiger Mann mit großem Bizeps,

er legt eine Patience, raucht gemahlenen

Vogeldreck mit Kirschgeschmack,

behauptet alle Reichtümer der Welt zu besitzen,

dabei steht doch nirgendwo, dass er Gott ist,

weder im Archiv noch im Perso noch im Führerschein.

Ganze Tage verbringt er damit nichts zu tun,

außer Buchstaben aus Tütensuppen zu essen,

El Niño bringt ihm anstelle eines Fernsehers

stets neue Kamikaze ans Fenster,

er atmet durch die Speiseröhre, flucht auf die Leber,

spuckt aus Angst

kleine Nägel und Büroklammern

wischt Staub, produziert Staub

singt ein kleines Klagelied

wenn der gute Zimmermann kommt

wenn der böse Prügelmann kommt

wird er mich ausrauben

und an den Stuhl festbinden.

 

 

 

Das Zimmer der Weltreisenden

 

Was soll ich tun

Wenn ich mit meinen abgenutzten Koffern nach Hause komme?

Lange stehe ich an der Schwelle und frage mich

Warum alle Wege weder nach Rom noch nach Moskau führen

Sondern ausgerechnet in dieses Zimmer?

 

In diesen trockenen väterlichen Würfel

In diese harte Schachtel mit stetigen Dimensionen

Merkwürdig fehl am Platz

Stehe ich da

 

Ich, groß und golden

Studentin der Weltflughäfen

Mit flüssigen Pässen im Haar

Immer von Neuem befestigt

An die vier Sicherheitsgurte

Dieser leeren Wände

 

Noch einmal vom Meer kommend

Mit der zerrissenen Landkarte

Hier im Zimmer zu sitzen

Ist ungefähr so wie kopfüber

An einem dünnen Haken an der Decke zu hängen,

Widrige Umstände

Zufall

Flatternde Schmetterlingsflügel in Peking

Aufgehängt an irgendjemandes Wunsch

Hier auf die großen Tage zu warten

Auf Taufen, Schulabschlüsse und Hochzeiten,

Genau wie der luftgetrocknete

Familienschinken

 

 

 

Das dunkle Zimmer der Schwester Agathe

 

Statt vor dem Schlafengehen zu Gott im Himmel zu beten

Und über den Dächern zu fliegen

Als sei ich eine Feder von Engel Raphaels Flügeln

Kauere ich unter dem Bett zusammen mit einer Fliege

Und gemeinsam wundern wir uns in der dunklen Stille

Wie sehr ich dieses unbewegliche Zimmer hasse.

Ein Überrest meines alten äußeren Körpers

Und ich weiß nicht was

mit diesem knöchernen Krüppel anzufangen.

Es ist zu groß und zu klein

Wie ein erwachsenes Kind

Das mal weint und mal schaut

Kühlen Blickes mustere ich es

Von unten aus seiner Dunkelheit

Wie Jonas aus dem toten Fischmagen heraus.

Ich möchte jemanden anrufen

Aber das Zimmer schneidet mir die Telefonschnur durch

Befiehlt mir zu schweigen

Und ich lege mich auf seinen nackten Boden, alleine

auf die alten gebrechlichen Knochen

Dumm wie Papst Pius

Doch, was will

Seine Ungelenkigkeit eigentlich von mir?

Warum spinnen diese gemauerten Ziegel

nicht mehr und strömen hinaus, unter die Leute?

Wenn es so sehr das alte ptolomäische System liebt

Warum rotieren dann in seinem Universum

Die Dinge nicht trunken um mein Zentrum herum,

scheinen und wackeln

(wie Glühbirnen und Bücher)

Wie Engelsplaneten

 


Vorstadtzimmer

 

Einige

Weiche Zimmer unserer Vorstädte

Haben nie ihr Haus verlassen

Waren nie im dichten Wald

Sind nie ins Wasser gefallen

Und sind nie nass geworden

So dass ihre Pantoffeln oder Hausschuhe

Sich aufgelöst und in die Freiheit geströmt wären

Darum fürchten sich die weichen Zimmer

Stets vor zerbrochenen Tellern

Vor Gasaustritten, Infektionen und Hautverbrennungen

Tragen sogar nachts Sonnenbrillen

Während sie an Wochenenden Liebesromane lesen

Gießen dauernd die Blumen im Haus

Die daraufhin zu Plastik

Und unruhig werden

Wie ungestüme Küsse

Misshandelte Kinder 

 

 

 

Kinderzimmer

 

Manche alten Kinderzimmer

Werden mit der Zeit immer abhängiger

Vom Staub und von der Fürsorge.

Besudelt infantile, trotzige

Greisinnen-Mädchen.

Wenn dies wirklich mein Zimmer ist

Warum erstrahlt es nicht in vollem Glanz

Ganz von selbst, so wie früher

Warum schüttet es täglich so viele Kilos Staub

auf all diese wertvollen Sachen?

Als würde es heimlich

Diese grauen Vampirschuppen einsaugen

Oder sie direkt einspritzen in Vasen, in Teppiche und in mich.

Nichts soll übersehen werden

Nein, dieses Greisinnenmädchen

Bewahrt einen feinen gemahlenen Rest der Sachen

Für seinen „5 o’clock“ Ruhestandskakao,

Den es zusammen mit anderen verlassenen Zimmern der Gegend

Trübselig schlürfen wird,

wenn ich es wegen eines anderen

Reiferen

Verlasse.

 

 

 

Zimmer zum Zerschlagen

 

Nicht nur am Wochenende

Kommt Marinas Zimmer zu spät zum Spiegel

Und zur Volkszählung

Sondern an allen Arbeitstagen

(Genau wie der Bus um 7:32)

Denn so wie Marina

Kann auch das Zimmer

Keine andere Form annehmen

Keinen neuen Betonkörper formen

Und über sich selbst hinauswachsen

Unausgeschlafen

Wacht das Zimmer jeden Tag voll Kummer auf

Und taucht seinen Kopf in kalten Kaffee.

Es hat niemanden zum Reden

Schläft darum wieder ein

Seeräubergleich hinken betäubte Schildkröten

Werfen Schuhe um, beschwören,

Stöhnen, verfluchen, flüstern

Nageln das Bett an Marina

Und Marina an das Bett fest

Drapieren einen Vorhang darüber

Sagen: Marina, komm zu spät zur Arbeit

Wenn du im Traum auf dem Hochzeitsschleier

So geschmeidig gen Himmel fliegst 

In Richtung

Alkoholwolken

 

 

 

Skorpionzimmer

 

Außer einem Geruch nach Benzin

Und der Atmosphäre einer Polarnacht

Hat das Zimmer der unverbesserlichen Platzangstpatientin

Das Gesicht eines Blutegels

Und einen harten schwarzen Panzer

Es ist die Chitinuniform des Skorpions

In welcher sie morgens 

Ihr Opfer küsst und die Tür schließt

Als würde sie mit dem Schwanz zustechen.

Sie flüstert „Geh nirgendwo hin,

bleib doch zuhause“

kocht einen starken Kaffee aus Galle,

ohne Zunge und Gedärmen,

Gießt ihn nur so herunter.

Ungläubige Wissenschaftler

Würden in allen Kirchen darauf wetten

Und auf Ritterrüstungen und Blitze setzen

Dass so ein giftiges Zimmer

Die Wasserstoffbombe als einziges

Überleben könnte

Und einsam in der leeren Welt herumirren würde,

Glücklich und besiedelt

Nur mit Kakerlaken

Aus unseren Irrenanstalten

 

 

 

Untermieterzimmer

 

Während unten

In den neonblauen Straßen

Schmutzige Kinder mit Luftgewehren

Auf glühende Sterne schießen

Und sie in ihre verbrannten Münder stopfen

Liegt oben im fünften Stock

In seiner kalten Blase

Ein angemietetes Junggesellenzimmer

Das abergläubisch eine Antenne repariert

Um Königin Oprah huldigen zu können

Und per Ferndiagnose von ihr geheilt zu werden

Denn sag mir, dear Oprah,

Wie soll ich nur

Diesem armseligen Untermieterkörper in mir

Mehr Wertschätzung entgegen bringen

Wenn er zerrupft in alten Pyjamas

Unnütze Gedichte über die große Liebe

In kleinen Städten

Schreibt? 

 

(übersetzt von Patricia Friedrich)

Berichte

Museum der zerbrochenen Beziehungen

Ein Museum in Zagreb zeigt, was von der Liebe übrig blieb.

Berichte

Lumbarda: Ein modernes Reiseziel mit antiken Wurzeln

Nur wenige Kilometer von der Stadt Korčula entfernt, am östlichen Ufer der gleichnamigen Insel, liegt das Dorf Lumbarda. Vor mehr als zweitausend Jahren war Lumbarda eine Gemeinde der griechischen Kolonie der Insel Vis.
Im Jahr 1877 entdeckten Archäologen in Lumbarda eine antike Steinschnitzerei, das als Lumbarda-Psephisma bekannt wurde.

Rezensionen

Miroslav Krležas Werk im lichte der Französischen Kritik

Bisher wurden sechs Werke Miroslav Krležas ins Französische übersetzt, und zwar: „Beisetzung in Theresienburg“ (Novellen, Edition de Minuit, in der Übersetzung von Antun Polanšćak mit einem Vorwort von Léon Pierre Quint, Paris 1956), „Die Rückkehr des Filip Latinovicz“ (Roman, herausgegeben von Calman, Lévy, in der Übersetzung von Mila Đorđević und Clara Malraux, Paris 1957), „Das Bankett von Blitwien“ (Roman, herausgegeben von Calman-Lévy, in der Übersetzung von Mauricette Beguitch, Paris 1964). „Ohne mich“ (Roman, Edition De Seuil, übersetzt von Janine Matillon, Paris 1969), „Der kroatische Gott Mars“ (Novellen, herausgegeben von Calman-Lévy, übersetzt von Janine Matillon und Antun Polansćak, Paris 1971). „Die Balladen des Petrica Kerempuch“ (Edition Presse Orientales de France, übersetzt von Janine Matillon, Paris 1975).
Sie alle haben eine warme Aufnahme gefunden. Wir bringen hier einige Auszüge aus Rezensionen (Maurice Nadeau, Léon Pierre Quint, Claude Roy, Marcel Schneider und andere), die das Werk Krležas auf jeweils verschiedene Art und Weise beleuchten.
Maurice Nadeau widmet (u. d. T. „Ein großer jugoslavischer Schriftsteller“) im „France Observateur“ vom 20. Juni 1956 eine ganze Seite dem Erscheinen der Novellensammlung „Beisetzung in Theresienburg“. Daraus einige charakteristische Passagen: Für viele wird die Novellensammlung „Beisetzung in Theresienburg“ zu einer wirklichen Offenbarung werden...

Der Text ist ursprünglich in der Literaturzeitschrift Most/The Bridge (Heft 3-4, 1979) erschienen.

Berichte

Das Bild der Deutschen in der neuen kroatischen Literatur

Modernisierer, Kollaborateure, Faschisten: Die Geschichte und die Wahrnehmung der Balkandeutschen ist vielfältig und bis heute mit Tabus belegt. In den letzten Jahren sind sie jedoch zum Thema der kroatischen Literatur geworden.

Von Martin Sander und Ksenija Cvetković-Sander / Deutschlandfunk kultur

Berichte

Was willst du in Senj, Thilo?

"Und du willst nach Senj, Thilo?“

Ja. Ich wollte trotz des touristischen Überangebot Kroatiens jene Stadt sehen, in die der von den Nazis verfolgte Kurt Held und seine Frau Lisa Tetzner 1940 kamen und Inspiration zum Verfassen der „Roten Zora“ erhielten.

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