von Nadine Lange, tagesspiegel.de
Partisanen, Tanten und Tintenfische: Die kroatische Übersetzerin Alida Bremer legt mit „Olivas Garten“ ihren ersten Roman vor.
Sie ist den ganzen Weg zu Fuß gegangen, Luftlinie etwa 400 Kilometer. Eine unfassbare Leistung, zumal Oliva von der deutschen Lagerhaft geschwächt war. Trotzdem schleppte sich die dreifache Mutter am Ende des Zweiten Weltkrieges von Belgrad zurück nach Vodice, ihr Fischerdorf an der dalmatinischen Küste. „Daraufhin legte sie sich ins Bett, und die nächsten fünfzig Jahre lag sie abwechselnd im Bett und auf der Ottomane, nur an Sommerabenden häkelte sie vor ihrem Haus“, heißt es in einem der ersten Kapitel von „Olivas Garten“.
Diese Oliva hat es wirklich gegeben. Sie war die Großmutter der Autorin Alida Bremer, die in ihrem ersten Roman einen Teil ihrer Familiengeschichte fiktionalisiert hat.
Die Erzählerin trägt den gleichen Vornamen wie die Autorin, und sie ist ebenfalls eine in Münster lebende Kroatin, deren Eltern in Split wohnen. Als sie erfährt, dass ihre Großmutter ihr einen Olivenhain vererbt hat, fährt sie in die alte Heimat und begibt sich in einen zähen Kampf mit den lokalen Behörden. Und während Alidas deutscher Mann schon von der eigenen Olivenölproduktion träumt, bringt ihre Tante sie auf die Idee, ein Buch zu schreiben.
In Wirklichkeit hat Alida Bremer, die bisher vor allem als Kulturvermittlerin und Übersetzerin aus dem Kroatischen bekannt war, nichts geerbt. Vielmehr wollte die 54-Jährige den vielen Erzählungen, die in der Familie ihrer Mutter kursieren, auf den Grund gehen. Es gab einige, die nur geflüstert oder angedeutet wurden, aber auch solche, die sie seit ihrer Kindheit immer wieder gehört hatte – wie die Episode von der Rückkehr Olivas. „Das war eine der Haupterzählungen in der Familie“, sagt Alida Bremer beim Gespräch in Berlin. „Und alle hatten Verständnis dafür, dass sie sich danach hingelegt hat. Ihre Mutter hat sich dann um sie gekümmert, einen Kokon um sie gesponnen.“
Die Verwandten wollten ein neues, starkes Jugoslawien aufbauen
Paulina heißt diese Mutter im Roman. Genau wie ihr Sohn Benedikt steht sie auf der Seite der Partisanen. Doch anders als er, der Untergrundkämpfer, überlebt sie den Krieg und bleibt bis zu ihrem Tod eine überzeugte Kommunistin. „Als Partisanen waren sie auf der Seite der Sieger“, sagt Alida Bremer über ihre Verwandten. „Außerdem wollten sie ihren Opfern Sinn geben, und der bestand im Aufbau eines neuen, starken Landes. Sie waren sehr jugoslawisch orientiert.“ So erklärt sich die Autorin auch, dass ihre Mutter, die als Siebenjährige während des Krieges zwei Jahre ohne Eltern im Dorf zurückblieb, später ein optimistischer Mensch ohne jegliche Anzeichen von Traumatisierung werden konnte.
Oliva hingegen war unpolitisch und überfordert, daher ihr Rückzug. Im Buch wirkt ihre Figur wie ein Ruhepol. Kurze Kapitel, in olivfarbener Schrift gehalten, skizzieren ihre Gedanken, Gefühle und Erinnerungen – oft verbunden mit der Schilderung, wie sie eine Speise zubereitet oder im Kopf ein Rezept etwa für gefüllte Tintenfische durchgeht. Das Thema Essen spielt eine wichtige Rolle in „Olivas Garten“. Es verleiht der leichtfüßig zwischen der Gegenwart und den 40er Jahren pendelnden Handlung ein mediterranes Flair und symbolisiert überdies einen wichtigen Charakterzug der Küstenbewohner: ihre Gabe, ganz und gar in der Jetztzeit zu leben. Alida Bremer bewundert diese Eigenschaft, die sie auch bei ihrer Mutter und deren beiden jüngeren Schwestern findet. Alle drei haben während des Krieges viel mitgemacht, doch später taten sie das mit einer kurzen „Ja, es war schlimm, aber jetzt ist es egal“-Bemerkung ab. Bremer glaubt, dies ist eine typische Haltung von Dalamatinern. „Sie haben keine Opfermentalität. Vielleicht sind ihre Geschichten deshalb unbekannt“, sagt sie. Nordkroaten oder Serben mit ähnlichen Schicksalen hätten daraus riesige Mythen gemacht.
Bremer sprach mit Mutter und Tanten. Der mangelnden Belastbarkeit ihrer Quellen war sie sich stets bewusst
Eine dieser kaum bekannten Geschichten ist die des Flüchtlingslagers El Shatt. Bremer streift sie in „Olivas Garten“: Rund 30 000 vor allem dalmatinische Kroaten wurden im Sommer 1944 in die Nähe des Suezkanals evakuiert, wo sie eine „veritable sozialistische Kleinstrepublik in britischen Militärzelten mitten in der Wüste“ aufbauten. Die beiden Tanten der Autorin waren als Kleinkinder in dem ägyptischen Lager, ihre Mutter nicht – sie war im letzten Moment vom Boot gesprungen. Die Schwestern erzählten Bremer in Interviews von dieser Zeit, wobei sich die promovierte Literaturwissenschaftlerin der mangelnden Belastbarkeit ihrer Quellen stets bewusst war. „Eine Tante erzählte von Afrika, als sei sie damals 30 gewesen, dabei war sie gerade mal drei.“ Auch die Details, an die sich ihre Mutter zu erinnern meint, bezweifelt Bremer. „Erinnerung mischt sich mit den Erzählungen von anderen. Das alles wurde so oft erzählt, dass es gar nicht mehr wahr ist“, sagt sie. Auch deshalb habe sie die Romanform gewählt.
Eigentlich hatte Bremer eine akademische Karriere geplant, als sie 1987 zusammen mit ihrem ersten Mann nach Münster kam. Sie arbeitete an einer Dissertation über postmoderne Krimis, die erst 1999 erschien – die Balkankriege kamen dazwischen und änderten Bremers Karriereweg völlig. Anfragen von Zeitungen häuften sich, die Artikel von Schriftstellern und Intellektuellen aus der Region übersetzt haben wollten. Sie wuchs in eine neue Rolle hinein. Zudem gründete sie eine Flüchtlingshilfe – und trennte sich in dieser Zeit von ihrem Mann. Es wäre eigentlich der Zeitpunkt gewesen, Münster den Rücken zu kehren. Doch wohin? In Kroatien wurde gekämpft. Mutter und Großmutter Oliva mussten sogar für einige Tage in den Luftschutzkeller. „Du fehlst uns gerade noch“, sagte sie. Serbien kam natürlich auch nicht infrage, obwohl Bremer an der Belgrader Uni studiert hatte. Ihr Diplom in kyrillischer Schrift und ihr in Belgrad ausgestellter Pass wären in Kroatien nicht gut angekommen. So blieb sie in Deutschland, das in „Olivas Garten“ als unterkühltes Land beschrieben wird, das die Erzählerin aber auch für vieles, wie die effiziente Bürokratie und die Presse, schätzt.
Alida Bremer hat den Roman auf Deutsch geschrieben – obwohl sie ihre Gespräche auf Kroatisch geführt hat und auch ihre eigenen Erinnerungen nicht auf Deutsch waren. Allerdings habe ihr das Deutsche, sagt sie, die nötige Distanz zu den aktuellen, oft negativen Diskursen ihrer Heimat ermöglicht. Ins Kroatische wird ihr Buch jemand anders übersetzen. Dann kann sich auch ihre bisher eher skeptische Familie ein Bild von dem Werk machen. Sie wird vermutlich beruhigt sein und vielleicht auch ein bisschen stolz. Denn Bremer schaut liebevoll auf ihr Personal und nüchtern auf die Geschichte Kroatiens.
Nadine Lange
Ein Museum in Zagreb zeigt, was von der Liebe übrig blieb.
Nur wenige Kilometer von der Stadt Korčula entfernt, am östlichen Ufer der gleichnamigen Insel, liegt das Dorf Lumbarda. Vor mehr als zweitausend Jahren war Lumbarda eine Gemeinde der griechischen Kolonie der Insel Vis.
Im Jahr 1877 entdeckten Archäologen in Lumbarda eine antike Steinschnitzerei, das als Lumbarda-Psephisma bekannt wurde.
Bisher wurden sechs Werke Miroslav Krležas ins Französische übersetzt, und zwar: „Beisetzung in Theresienburg“ (Novellen, Edition de Minuit, in der Übersetzung von Antun Polanšćak mit einem Vorwort von Léon Pierre Quint, Paris 1956), „Die Rückkehr des Filip Latinovicz“ (Roman, herausgegeben von Calman, Lévy, in der Übersetzung von Mila Đorđević und Clara Malraux, Paris 1957), „Das Bankett von Blitwien“ (Roman, herausgegeben von Calman-Lévy, in der Übersetzung von Mauricette Beguitch, Paris 1964). „Ohne mich“ (Roman, Edition De Seuil, übersetzt von Janine Matillon, Paris 1969), „Der kroatische Gott Mars“ (Novellen, herausgegeben von Calman-Lévy, übersetzt von Janine Matillon und Antun Polansćak, Paris 1971). „Die Balladen des Petrica Kerempuch“ (Edition Presse Orientales de France, übersetzt von Janine Matillon, Paris 1975).
Sie alle haben eine warme Aufnahme gefunden. Wir bringen hier einige Auszüge aus Rezensionen (Maurice Nadeau, Léon Pierre Quint, Claude Roy, Marcel Schneider und andere), die das Werk Krležas auf jeweils verschiedene Art und Weise beleuchten.
Maurice Nadeau widmet (u. d. T. „Ein großer jugoslavischer Schriftsteller“) im „France Observateur“ vom 20. Juni 1956 eine ganze Seite dem Erscheinen der Novellensammlung „Beisetzung in Theresienburg“. Daraus einige charakteristische Passagen: Für viele wird die Novellensammlung „Beisetzung in Theresienburg“ zu einer wirklichen Offenbarung werden...
Der Text ist ursprünglich in der Literaturzeitschrift Most/The Bridge (Heft 3-4, 1979) erschienen.
Modernisierer, Kollaborateure, Faschisten: Die Geschichte und die Wahrnehmung der Balkandeutschen ist vielfältig und bis heute mit Tabus belegt. In den letzten Jahren sind sie jedoch zum Thema der kroatischen Literatur geworden.
Von Martin Sander und Ksenija Cvetković-Sander / Deutschlandfunk kultur
"Und du willst nach Senj, Thilo?“
Ja. Ich wollte trotz des touristischen Überangebot Kroatiens jene Stadt sehen, in die der von den Nazis verfolgte Kurt Held und seine Frau Lisa Tetzner 1940 kamen und Inspiration zum Verfassen der „Roten Zora“ erhielten.