Bisher wurden sechs Werke Miroslav Krležas ins Französische übersetzt, und zwar: „Beisetzung in Theresienburg“ (Novellen, Edition de Minuit, in der Übersetzung von Antun Polanšćak mit einem Vorwort von Léon Pierre Quint, Paris 1956), „Die Rückkehr des Filip Latinovicz“ (Roman, herausgegeben von Calman, Lévy, in der Übersetzung von Mila Đorđević und Clara Malraux, Paris 1957), „Das Bankett von Blitwien“ (Roman, herausgegeben von Calman-Lévy, in der Übersetzung von Mauricette Beguitch, Paris 1964). „Ohne mich“ (Roman, Edition De Seuil, übersetzt von Janine Matillon, Paris 1969), „Der kroatische Gott Mars“ (Novellen, herausgegeben von Calman-Lévy, übersetzt von Janine Matillon und Antun Polansćak, Paris 1971). „Die Balladen des Petrica Kerempuch“ (Edition Presse Orientales de France, übersetzt von Janine Matillon, Paris 1975).
Sie alle haben eine warme Aufnahme gefunden. Wir bringen hier einige Auszüge aus Rezensionen (Maurice Nadeau, Léon Pierre Quint, Claude Roy, Marcel Schneider und andere), die das Werk Krležas auf jeweils verschiedene Art und Weise beleuchten.
Maurice Nadeau widmet (u. d. T. „Ein großer jugoslavischer Schriftsteller“) im „France Observateur“ vom 20. Juni 1956 eine ganze Seite dem Erscheinen der Novellensammlung „Beisetzung in Theresienburg“. Daraus einige charakteristische Passagen: Für viele wird die Novellensammlung „Beisetzung in Theresienburg“ zu einer wirklichen Offenbarung werden...
Der Text ist ursprünglich in der Literaturzeitschrift Most/The Bridge (Heft 3-4, 1979) erschienen.
Die Auswahl, die uns der Verlag De Minuit bietet, stellt nur einen Aspekt der vielseitigen Tätigkeiten des Autors dar: sie erscheint uns aber ausreichend, um uns eine Vorstellung von seinem Stil zu geben. Krleža ist ein Realist; hart, herb und ätzend, ein Feind jeglicher Konzession bei der Beschreibung von Leid, Unglück oder aber provinzieller Beschränktheit
Doch, wenn man es so auszudrücken wagt, ein radikaler Realist, der sich nicht mit der Deskription von Erscheinungsformen begnügt, sondern der wie ein Besessener ihre sozialen und menschlichen Hintergründe aufdeckt und sie an den Wurzeln selber packt. Von da aus verändert er ihren gewohnlichen traditionellen Aspekt, von da her zeigt er sie uns in einem neuen Licht. Das Resultat ist sehr eigenartig: er vernichtet die solide beherrschte Welt, wie wir sie im Allgemeinen als die Welt der Realisten kennen, von Grund auf, um uns in jene Halluzination zu versetzen, in der erst alles seinen wahren Platz einnimmt. Leben, Tod, Leid, Unglück und die tausend Beziehungen des Menschen in der Gesellschaft; Verhältnisse, die, wie er zeigt, viel eher auf Brutälitat und Lüge aufgebaut sind, als auf Freundschaft, Zärtlichkeit und Liebe. Es ist dies keine Schwarzmalerei in der Art mancher Modernen, seine Bilder sind, im Gegenteil, sehr oft humoristisch und poetisch...
Die Sorge um den Aufbau, die mehr oder weniger alle revolutionären Schriftsteller beschäftigt, die erscheint bei Krleža nicht. Er überläßt es dem Leser, aus seinen Geschichten eine einleuchtende Moral zu ziehen. Es ist wahr, seine Aufgabe ist leichter als zum Beispiel die der sowjetischen Schriftsteller: es ist nämlich die alte, bürgerliche, feudale, provinzielle und rückständige Gesellschaft, die er geiselt, kritisiert und brandmarkt, diesen „Völkerkerker“, begründet auf Rassismus und Knechtschaft, der die österreichisch-ungarische Monarchie eben war. Er zeigt ihn im Vertikalschnitt, von der Aristokratie und den ordensbehangenen Militärs, erstarrt in Tradition, Privilegien und Ehrbegriffen, bis hinunter zu den ungebildeten, groben Bauern, die fast wie ein Tier als Profitgrundlage und Kanonenfutter dienen. Dabei streift er die vielfältigen Beispieie der Provinzaristokratie, die mehr oder weniger in Asphyxie dahinlebt.
Das Erstaunliche bei Krleža ist, daß dieses grau in graue Bild nicht grau ist; im Gegenteil, es ist farbenprächtig, voll von Mitgefühl, Humor und Poesie. In dieser von Irrealität heimgesuchten Welt stehen die Dinge im spitzen Winkel zueinander, die Menschen im Relief, Licht und Schatten in scharfem Kontrast. In der Kriegsnovelle ist Krleža unvergleichlich und mindestens so stark wie ein Andreas Latzko, Ludwig Renn oder Hemingway in „Über den Fluß und die Wälder“. Ganz wie Balsac, könnte dieser Realist auch ein Visionär sein. In der Tat, da doch zur Zeit die Dinge mit Belgrad nicht so schlecht stehen, worauf wartet Moskau noch, um Krleža neben Gorki, unter die wahren Meister des „sozialistischen Realismus“ zu stellen?
Léon Pierre-Quint ist der Autor eines umfassenden Vorwortes [zu „Beisetzung in Theresienburg“), woraus wir hier einige Auszüge bringen.
Die Grundkonzeption der Kunst ist bei Krleža sehr persönlich. Sie deckt sich weder mit einer religiösen Wahrheit, noch mit der Wahrheit einer Klasse, noch aber mit irgend einer These, welche immer es auch sein möge, d. h. mit keiner dogmatischen Wahrheit, die ja nur eine partielle Interpretation der Wirklichkeit sein kann. Charakteristisch ist die Vielfalt seines Registers - ein und dasselbe Thema wird einmal in Form lyrischer und epischer Gedichte, des Dramas, dann wieder in Form des Romanes oder der Novelle aufgenommen. Aber für Krleža bedeutet das literarische Genre weniger als für andere Schrittsteller, sind doch seine Personen sehr oft nur symbolisch, sie lassen Assoziationen von Vorstellungen von der Welt, der Kunst oder der Sexualität an uns vorüberziehen; sie leben in einer fiktiven Welt voll von Bessenheit, Beschwörung des Vergangenen, und werden vom Autor auf eine sehr persönliche Weise umgesetzt. Zweifellos erreicht Krleža den Höhepunkt in seinen kurzen Erzählungen, wenn er der Komposition eine Vorzugsstellung einräumt und die Abläufe rafft: da werden seine Gedanken von einer Kraft erfüllt, die jener des Menschen an sich gleichkommt; seine Dialoge, ob es nun um armselige Bauern, Beamte, Kleinbürger oder verkommene Aristokraten geht, sind den sprechenden Personen erstaunlich angepaßt und erhalten eine eindringliche, ergreifende Stärke... Krleža zwingt sich durch einen Realismus auf, der eher an den eines Huysman, als eines Zola erinnert. Mit seinen Derbheiten, Gewaltsamkeiten, seinem intensiven Glanz, mit seiner Fähigkeit zum Skandal stellt sich dieser Realismus vor allem als die Potenz zur Vernichtung der Konventionen dar, als steter Kampf gegen das Bedürfnis des Menschen, das Leben zu idealisieren, es als Idylle - d. h. als Lüge - zu eben. Schließlich spiegelt Krležas Realismus einen privilegierten Aspekt der „Wahrheit“ wider...
Seine bevorzugten Mittel sind Satire, Humor, Sarkasmus, lronie, Spott... Krleža weiß sehr gut, daß die absolute Revolte, ebensowenig wie die Anarchie, keine Position ist, in der man lange durchhalten kann. Aber - sie zeigt den Weg. Durch ihre Unnachgiebigkeit und Härte ermöglicht sie es, an das erbarmende Herz des Menschen und jener, die sich „Seinesgleichen“ nennen, heranzukommen. So wird Krležas Fiealismus zum Humanismus. Was tun? fragt unser Autor. - Wie einen Menschen begreifen? schrieb breve manu Valery. Als Antwort revoltiert Krleža gegen die Revolte seiner Helden, die fast alle Versager oder Schwächlinge sind - er verhöhnt ihre Forderungen, gibt sie dem Spotte preis, wie Flaubert es mit seinem „Bouvard et Pécuchet“ tat.
»Miroslav Krleža, der bedeutendeste Zeitgenosse in Jugoslavienu ist der Titel eines wichtigen Beitrages, den Marcel Schneider in der Zeitschrift „Combat“ dem Roman „Die Rückkehr des Filip Latinovicz“ und der Novellensammlung „Beisetzung in Theresienburg“ widmete.
Krleža ist ein Mann der Renaissance - kraft seiner auffallenden Persönlichkeit, durch die Fülle seines Wissens, die Aufgeschlossenheit seines großen Geistes und durch seine unersättliche Neugierde. Von seinem enzyklopädischen Wissen zu sprechen, hieße den Leser verwirren, der dabei an ein dickes Wörterbuch, an kalte Repertorien von Abenteuern des menschlichen Geistes denken könnte. Das Wissen Krležas aber ist erlebt, in lebendige Materie verwandelt: in sich selbst, in seiner Person präsentiert Krleža die Summe der Zivilisation. Viel mehr als ein Revolutionär im zeitgemäßen Sinn des Wortes, ist Krleža ein Mensch der Zerstörung und der Negation. Nicht auf dem Wege eines diskursiven Denkens oder der Dialektik - und sei es der marxistischen - kommt er zur Ablehnung der Gesellschaft, die sich in den letzten Jahrhunderten herausgebilted hat, es geschieht vielmehr durch eine Art der persönlichen Bejahung, durch eine halluzinative Vision, die er vom Universum hät. Seine Revolte ist in erster Linie das Postulat seines individuellen Genies.
Seine dramatischen Figuren haben etwas vom Hampelmann und Possenreißer an sich, seine Romanhelden kommen bis an die Grenze der Karikatur. Selbst die Gegenstände entgehen der Wut Krležas nicht: lange vor Sartre zeigt es sie uns brüchig, porös, schimmelig. Denn mehr noch als traurig erscheint Krleža die Weltkomödie lächerlich: revolutionärer Aristokrat, der er ist, beurteilt er alles im Maßstab der Größe, und alles erscheint ihm elend und armselig. Dies ist auch der Geisteszustand des Filip Latinovicz.
Wilder Individualist, visionärer Dichter - und die Botschaft des Dichters ist es, die uns Krleža übermittelt: „sein personliches Leben zu riskieren und es zu verlieren, heißt sich selbst entsagen“. Hier trifft er auf den Aufschrei Rimbauds.
„Reverenz an Krleža“ ist der Titel eines Aufsatzes, den Claude Roy in „Liberation“ Krleža widmet [Paris 1957):
Das Werk Krležas ist von großem Ungestüm, zugleich aber von großer Subtilität, der Zutriit ist nicht immer leicht. Die Schriftsteller, die wir kennen und auf die wir uns beziehen könnten, um Krleža einzuordnen, der übrigens keinem gleicht, sind Sartre in „La Nausée“, Céline in „Voyage au bout de la nuit“, Bernanos, Samuel Beckett, Henry Miller und Marcel Proust. Er hat das Format dieser Männer. Wie ihres, ist sein Werk etwas was man zunächst wie einen Schock empfängt, wie einen Faustschlag in die Magengrube. Krleža lesen, das heißt zunächst alle Engel singen hören, von einem Taumel erfaßt werden. Dann aber schnürrt einem ein erstickender Geruch nach Tod und Verwesung die Kehle zu. Den Kulminationspunkt des Zerfalles der alten österreichisch-ungarischen Gesellschaft, an dem uns auch Robert Musil teilhaben läßt, bildet der Krieg. Von Krleža stammen einige der aufwühlendsten Beschreibungen dieses Krieges. Meisterhaft versteht er es das Zeremoniell und die Paraden der Armee einer Kaste den Schrecken des tagtäglichen Blutgemetzels gegenüber zu stellen. Angesichts dieser verführten Menschen und der Nutzlosigkeit ihres Schicksals, deren Leben nichts anderes ist als ein langsamer Verwesungsprozeß oder aber eine eingehämmerte Rolle - die sinnlos und umsonst gespielt wird - aus Nostalgie nach einem größeren Leben - läßt Krleža von Zeit zu Zeit Menschen auftreten, die ihm beispielhaft erscheinen. In der „Rückkehr des Filip Latinovicz“ ist es der bewundernswürdige Frauencharakter der Xenia Bobocka. Xenia ist arm, alt, vom Glück verlassen. Und doch - sie bleibt in diesem besudelten und stinkenden Universum von einer vollkommenen Reinheit, lebt der Stimme ihres Herzens - ein menschliches Wunder an Feinheit, Aufrichtigkeit und Wahrhaftfigkeit. Dies ist wohl die rührendste Frauengestalt des europäischen Romans.
Doch dieser Aufruf zu den Tugenden der Aufrichtigkeit und Wahrhaftigkeit gibt nicht eigentlich die „Botschaft“ Krležas wider. Sein Werk erscheint von Anfang an als Aufschrei der Revolte und zugleich als Prozeß, der diese auf sich selbst beschränkt - eine Revolte also, die seinen Zorn und seine Hoffnungslosigkeit widerspiegelt, verdammt zur Sterilität und Wirkungslosigkeit. Krleža sagte einmal, der Sozialismus sei die Hofinung der Welt, aber er hätte noch keine Schriftsteller getunden, die seiner würdig wären, würdig jener Themen, die dieser der Menschheit anbiete. Krleža war immer auf der Hut vor Strenggläubigkeiten, Schematismen und vorgefertigten Formeln. Und es scheint mir, daß wir gerade diesem Herätiker des Kommunismus eine der wahrhaftigsten und edelsten Figuren eines militanten Kommunisten der gesamten modernen Literatur verdanken. Dies ist die Person des Kounei in der Novelle „In Extremis“. Krleža hat keine Epinal-Figur, keine marxistische lkone aus ihm gemacht. Er bewahrt ihm gegenüber jene Distanz, die notvvendig ist, um luzide und exakt zu bleiben. Krleža, als Schrittsteller ein Pessimist der Verwesung, genialer Sänger des makabren Tanzes, versteht es auch der Maler der erhabenen Moderne zu sein. Man Muß Miroslav Krleža als großen serbo-kroatischen und europäischen Schriit- steller begrüßen.
Robert Bréchon publizierte unter dem Titel „Nahverhailtnis zu Krleza“ in der Pariser Revue „Critique“ [Juni 1958] eine vvichtige Studie. Dieses „Nahverhältnis“ hebt besonders die Verwandtschaft der „verführten“, „schleimigen“, „übervollen“ Welt Krležas mit dem französischen Existentionalismus hervor. Dabei wird der Tatsache Rechnung getragen, daß „Die Ruckkehr des Filip Latinovicz“ 6 Jahre (1932) vor Sartres „La Nausée“ erschienen ist: ein Mann aus Zagreb hat vor 30 Jahren ein literarisches Universum erschaffen, das uns an jenes von Sartre, Malraux, Bernanos, Celine und Henry Miller erinnert. Dieses Werk hat also etwas an sich, das uns sofort bekannt und vertraut erscheint. Die mitreißendste Eigenschaft des Werkes Krležas ist der Kontrast zwischen der üppigen farbenprächtigen Vision einer satten, aufgedunsenen, von Dingen und Menschen überquellenden Welt, einem Schwall von Formen, Tönen, Gerüchen und der existentiellen Leere, die er angesichts dieser Welt empfindet und die die Quelle seiner Ängste ist. Diese Welt, die überquillt von Materie, ist eine Welt der schmutzigen Gewässer, verfaulten Früchte, Exkremente und Abfälle; eine tote Welt, in der die Zeit still steht. Der menschliche Körper ist zur Schau gestelltes Fleisch, etwas obszönes, ein Bauch – „nackt, groß und weiß wie frisches Brot auf dem Brotschieber... aufgetrieben, weich, schwammig, das sich wie Sauerteig angreift“. So sieht ihn Filip Latinovicz bei seinem ersten Besuch bei den „Damen“. Die Welt Krležas ist eine Welt des Zuviel, des Überdrusses, widerwärtig mit schlechter Verdauung und Alkoholausdunstungen, seine fundamentale Ertahrung ist die des Ekels: die Dinge existieren, sie drängen sich aut, sie sind überflüssig, die Welt ist ein einziges Krebsgeschwür. Der Fall Filip Latinovicz ist besonders signifikant: das Thema, das den ganzen Roman beherrscht, ist das Problem des Bastards. Wenn Filip keine „Basis“ hat, so deshalb, weil es ihm eines Tages bewußt wurde, daß er nichts über seine Herkunft weiß. Ohne Vater ist er nur ein losgerissenes Stück, ein Mensch von Nirgendwo, ohne Relevanz für diese Welt.
Bei Krleža sind alle Helden in gewisser Weise Bastarde, zwielichtige, vereinsamte Wesen, ohne Haus und ohne Herd - verlorene Kinder: eines Tages während seiner Kindheit fand Filip bei seiner Heimkehr das Haus seiner Mutter verschlossen - und er blieb draußen, draußen blieb er sein ganzes Leben lang. Der Mensch bei Krleža fühlt sich endgültig getrennt, abgesetzt, in eine fremde unverständliche Welt geworfen, weit ab von jenem Mittelpunkt, in dem das Herz der Welt schlägt; unfähig die verlorene Kindheit wiederzufinden, trauert er ihr nach wie einer alten Wunde; unfähig aus sich eine autonome Persönlichkeit zu machen und ein richtiger Mann zu werden. Das Leben all dieser Personen auf der Suche nach ihrem „innersten Sein“ sind „krankhafte Kindheiten“, die ein ganzes Leben andauern“, zufällige Ansätze, Fragen auf die keine Antwort kommt.
Die unzähligen Bilder, die bei Krleža eine schmutzige, verdorbene, schleimige, stinkende Welt charakterisieren, stellen nicht nur die geistige Situation des Einzelnen oder die menschliche Bedingtheit an sich dar; sie zeigen auch die Krankheit einer Gesellschaft, die Krise einer Zivilisation. Bei Krleža scheinen mir metaphysische Unruhe und historische Tragödie untrennbar zu sein. Sein Ekel vor den Dingen ist von gleicher Natur wie sein Ekel vor dem Spektakel, das ihm die ihn umgebende Gesellschaft bietet: in beiden Fällen ist es das Gefühl einer fundamentalen Unzulänglichkeit, für das Elend und die Unwissenheit der Bauern und Arbeiter, das Pharisäertum der Bourgoisie die gleich schreienden Symbole sind, wie Krankheit, Langweile und Tod; als ob in diesem österreichischen Kroatien des Beginns des XX. Jahrhunderts über der menschlichen Bedingtheit ein zweifacher Fluch läge, der der Natur und der der Geschichte...
Krleža erweckt diesen schalen Geschmack des anekelnden, abgeschmackten Lebens, das das Leben der europäischen Städte im Zwielicht einer überalteten Zivilisation war. Selbst Wien, im Glorienschein seines hauptstädtischen Prestiges, ist langweilig und verschlafen; eine falsche Hauptstadt. lm Vorkriegs-Kroatien, der Provinz einer europäischen Provinz, ist demnach das Leben doppelt so unglaubwürdig. In dieser absurden und elenden Welt, wo „alles krankhafte Halluzination ist“, wie soll da der Mensch Mensch sein?
Die Reaktion der Helden Krležas auf die Dummheit dieser „pharisäischen und menschenfressenden Gesellschaft“ ist ein Schrei oder eine Geste der absoluten Revolte. Und aus Angst vor der Konforntation mit der Realität verstecken sich die Menschen hinter den Dingen, Verhaltensformen, Riten und jenen Mythen, die eine Zivilisation ausmachen. Menschliche Gesten also, »durch die wir versuchen uns wie hinter einer Leinwand zu schützen, gegen die Wahrheiten und Wirklichkeiten des Lebensu, „Kinderspielzeuge“ wie „Religion, dumme Weinachtsgeschenke, ldyllen“, oder der Konfort in all seinen Formen.
Um wahrhaftig zu leben, glaubt Filip, um das wahre Wissen vom Leben wiederzufinden, muß man die Schlaffheit ablegen, wie es Bobocka tut, die nicht den Konventionen gehorcht, sondern nur dem eigenen Temperament. In der ganzen Gesellschaft von Kostanjevec ist diese kapriziöse, wunderliche, „leichte“ Frau eine Reälitat, die einzige, die sich letztlich für ihr Leben einsetzt, die es ernst nimmt und nicht nur so tut „als ob“. Sie trägt die Intensität und die Tragödie in sich, sie verbrennt ihr eigenes Leben und das der anderen.
Filip ist ein lntelektueller, ein Mensch, der sich Probleme stellt und sich selber auffrißt wie ein Skorpion. Seine Neurasthenie geht Hand in Hand mit einer Manie zur destruktiven Analyse, die das Leben in ihm zum Stocken bringt. Die Luzidität der Helden Krležas, die es ihnen gestattet, nicht die „Dummen“ zu sein, blockiert sie. Eine starke Hemmung hindert sie am Handeln, Fühlen und am unmittelbaren Leben. Alle diese Hamlets empfinden heimlich das Bewußtsein als eine Krankheit des Seins, als Hindernis am Glück. Es geht Filip nicht so sehr darum, „sich zu retten“, wenn er ein Werk vollbringt, sondern darum, seinem Leben einen Sinn zu geben, indem er den Sinn der Welt, in der er lebt, offenlegt und darum, sich so Neuraum za schaften [zu erschließen], jenseits des Menschlichen, wenn man so will, jedoch in Wirklichkeit das einzig Menschliche in einem endlich signifikanten Universum, befreit vom Chaos. „lch glaube“ sagt Filip „an die Reinheit des künstlerischen Bewußtseins, als an die einzige Fieinheit, die uns in dieser uns umgebenden bestialischen Welt geblieben ist“.
Die Bestimmung des Künstlers wird es sein, diese bestialische Welt darzustellen, damit ihr Geist zum Durchbruch kommt.
„Le Monde“ (Paris, 11. Mai 1968)
Fiomancier, Dichter, Essayist, Dramaturg, Kritiker - Krleža hat der literarischen Szene seine Präsenz aufgezwungen, und zwar fast zur gleichen Zeit - am Ende des 1. Weltkrieges - als die Vereinigung der jugoslavischen Völker besiegelt war. Seiner Herkunft nach Kroate [geboren 1893 in Zagreb), mit einem wesentlichen Teil seines Oeuvres an Kroatien gebunden, Verstand er es, sich von jedwedem „Provinzionalismus“ trei zu halten, und ein Europäer par exellence zu werden. Die Kritik verwies sehr oft auf Krležas Verwandtschaft, einerseits mit dem deutschen Expressionismus, andererseits auf die zahlreichen Elemente, die seinem Universum gemeinsam sind - und zwar sowohl vom geographischen als auch ästhetischen Standpunkt - mit dem eines Musil, Kafka, Svevo oder gar Rilke; an den äußersten Rand eines Teiles von Europa gestellt, der sich aber trotzdem westlich sehen mijchte, hatte Krleža am Zerfall der österreichisch-ungarischen Monarchie teilgenommen, der Kroatien angehört hatte. Dieser Zerfall, zusammen mit einem überspitzten Sinn für Strandgut, stellt auch im Ganzen gesehen das Hauptthema seines Werkes: er kann nicht aufhören, die Wurzeln und Ursachen dieses „ysterreichischen Komplexes“ zu erforschen - und das mit der rachevollen, wenn nicht schon morbiden Genüßlichkeit eines Bewunderers von Nietsche und Strindberg, - die Unterwürfigkeit von Administration und Militär, symbolisiert durch erdrückende Monumente, ein lächerliches Inventar an opera buffa Manieren, die Favoriten Franz Josephs, und eine hybride Atmosphäre, durch deren Nebel der Dichter seine Seele suchta. Diese Worte von Jean Casson charakterisieren die Atmosphäre, die man in Krležas besten Werken vortindet, treffend: Seine „Rückkehr des Filip Latinovicz“ [geschrieben 1932), in der sich der Held, ein „dekadenter Intelektueller“ - lange vor Roquientin - in der übelerregenden Undurchsichtigkeit seiner Existenz übertölpelt vorkommt, ist ganz eingetaucht in schwelstigen Schatten (Sartre selbst war überrascht von der Ähnlichkeit seines Helden mit dem Krležas); dasselbe gilt auch für den dramatischen Zyklus »Die Glembaysx, der quer durch die gleichnamige Familie, die düstere Dekadenz des kroatischen Großbürgertums projiziert, ebenso wie für seine zahlreichen Gedichtsammlungen, die „Balladen des Petrica Kerempuch“, sein Meisterwerk, geschrieben im kroatisch-kajkavischen Dialekt.
„Das Bankett von Blitwien“ – „Gazette de Lausanne“, 1964
Dies ist ein eigenartiges, fesselndes Buch, bei dem man von der ersten Seite an seine außerordentliche Wichtigkeit spürt, sei es durch den Tonfall, sei es durch das Ausmaß seines Anliegens. Hier handelt es sich nämlich - kurz gesagt - um ein Porträt Europas, das hinter allen Personen ununterbrochen präsent ist, ob diese nun sprechen, oder ob von ihnen gesprochen wird. Es ist dies das Europa zwischen den beiden Vlleltkriegen, oder genauer, jener Teil Europas, der die Trümmer des Musilschen Kakanien aufgenommen hat, der nicht aufhörte zerissen zu sein - 20 Jahre lang - oder sich selbst zu zerfleischen, der Beute der grausamsten Ambitionen und anachronistischesten Leidenschaften wurde, wenn diese auch nach außen hin wohlbegründet schienen. Nationen, die nicht wußten, ob sie nun so alt wie die Welt waren, oder aber erst gestern gelooren, versuchten sich selbst ihre Existenz zu beweisen, wie dies Halbwüchsige tun, aus einer Mischung von Agressivität, Schwäche und Träumen von Größe. Die widersprüchlichsten Ideologien ließen sich nicht mehr auseinanderhalten, da sie dieselben Mittel benutzten um ihre Herrschaft aufzurichten. „Das Bankett von Blitwien“, das ist: wie kommt es, daß jeder Anspruch auf Recht und Würde,wenn er etabliert ist, oder sich in Gewalt ausdrückt, sich in genau diese Gewalt verwandelt und seine Motive vergißt; wie kommt es, daß sich die vornehmsten Bestrebungen in Geschmack an der Macht verwandeln, die man mit allen Mitteln behalten, oder erlangen will. Doch, wenn dieser Roman solches auch beinhaltet, hat er nichts von einer politischen Abhandlung an sich. Krleža beschreibt nicht Konflikte, er läßt Menschen reden und handeln. Mittels dieser Menschen wird das Schicksal verquickt. Die Personen zwischen denen sich das unuterbrochene Drama webt, das um ihren Kopf spielt, sind meist nichts als Marionetten, geschaffen, oder zum Auftritt berufen vom Wohlwollen eines launenhaften Schicksals in Gestalt der gerade herrschenden Souveräne.
Nur Baroutanski, Nielsen und Karine entgehen - in der Erinnerug dessen. der sich seinen Tod zum Vorwurf macht - dieser Groteske. Alle anderen aber, ob Erzbischöfe oder Generäle, Beichtväter oder Verschwörer, Minister oder Diplomaten - das Spiel, in das verstrickt sind, zwingt uns. mehr noch als ihre Charakterzüge, sie als dreckige Marionetten zu klassifizieren. Und doch vermeidet es der Autor selbst, oder scheint es zu vermeiden, uns zu führen: es sind die Personen, die selbst sprechen, die von sich selbst sprechen und so ihre eigene Silhouette zeichnen.
Die Komik im „Bankett von Blitwien“ ist nicht lustig, zumindest nicht oft. Aber wenn sie uns weder lächen noch lacheln läßt, erscheint sie als eine Art gesunde Reaktion auf Situationen, über die man ansonsten unmöglich sprechen könnte. Sie lebt von ihrer rührenden Ernsthaftigkeit, mit der der Autor spricht, oder seine Personen sprechen läßt. Denn vor allem indem er sie sprechen läßt, zeigt er sie uns. Von lebendigen und gewalttätigen Szenen unterbrochen, ist der Roman hauptsächlich auf Monologen autgebaut, die von handelnden Personen alterniert werden. Monologe Baroutanskis und Nielsens, aber auch solche eines Priesters, Politikers, Verschwörers... Durch die Dialoge und Monologe der Helden, und zwar ohne daß es erzwungen oder gewollt erscheint, erfullt Krleža sein Vorhaben, das Vorhaben eines Romanciers: ein Buch zu schreiben, in dem es normal ist, daß man über alles spricht; darin ein Bild vom Menschen und der Welt zu zeichnen, das nichts im Dunkel läßt; den Roman letztlich zu jener Totalität zu führen, die zu erreichen dieser immer anstrebt, aber so selten er sieht, nämlich ihn zu einer wahren Reflexion von der Welt zu machen, wovon die Künstler immer träumen, daß sie je nach Fähigkeit versuchen in ihr Werk einzuschließen... Pamphlet, Roman - das „Bankett von Blitwien“ ist eines jener seltenen Bücher, dessen Themenfülle, Gedankenreichtum, Klangkraft dem Leser den Eindruck vermitteln, daB ihm eine Art von Gnade zuteil wird. Und das wird heute so selten, daß es unterstrichen werden muß. Hinzuzufügen wäre, daß die Übersetzung ausgezeichnet ist.
Jean Bloch-Michel
„Ohne mich“, „Gazette de Lausanne“ 1-3, 1970
Moliére, Tolstoj, Dostojevski, es ist kein Zufall, daß diese Namen in die Feder fließen, wenn man von Krleža spricht. Man könnte noch andere hinzufügen, vorallem jenen Rabelais, bei dem er zweifelsohne die Wirksamkeit jenes Mittels zur Erfassung der Realität gelernt hat, das die Komik mit der Angst verbinden kann, nämlich die barocke Aufzählung. Und das ist kein Zufall, denn wenn so etwas wie eine Geographie der Literatur existiert, so zählt Kroatien zu den auserwählten Regionen. An der Nahtstelle von Ost- und Westeuropa, zwischen Rom, Griechenland und dem österreichischen Kaiserreich, often gegen die slavische Welt hin; man darf sich nicht wundern, daß es einen so reichen, originellen zugleich aber komplexen Schriftsteller hervorgebracht hat, der fähig ist, aus allen Quellen zu schöpfen, deren Ströme an seiner Tür vorüberfließen. Was Triest für Svevo ist, ist Zagreb für Krleža. Auch wenn sie nicht strenge Zeitgenossen sind, so einen sie doch viele Bande. Beide stammen aus Gegenden voller überfluß, zugleich aber voller Gegensätze. Das was eine Vielfalt an Reichtümern bildete, fuhrte gleichzeitig zu einer permanenten Zerissenheit und Krleža zu absoluter Verantwortung. D. h. er fühlt sich als Erbe der europäischen Kultur, aber auch als Zeuge einer vollkommen originalen Kultur. Erbe Europas und Erbe seines Landes, ist Krleža in der Revolte aufgewachsen; geboren als Österreicher, dann Untertane des serbischen Königs, ver- folgt von Pavelić, den schändlichsten und vielleicht blutrünstigsten Verbündeten Hitlers. In „Ohne mich“ erinnern die Wahrheiten, die der Erzähler der ihn umgebenden Bourgoisie ins Gesicht schleudert, an jene Anschuldigungen, die wir den Collaborateuren der Nazis entgegenhalten - doch das Buch wurde 1938 geschrieben! Dieser ganze Abschaum, der sich geduckt und verkauft hat - das rabelaische und gogolsche Feuer eines Krleža taucht ihn in seinen eigenen Unflat. Mit Hilfe barocker Aufzählungen, saftiger Neologismen, entfesselter Wcrtspiele, getragen von einem heiligen Zorn voller Lachen und Gesundheit. Es wird einem sehr wohl klar, daß der Chrösostomos aus „Ohne mich“ kaum an den Malheurs leidet, die ihm seine spontane Aufrichtigkeit einbringt. lm Gegenteil, vor dieser Zeit war er nicht glücklich - jetzt erst lebt er. Man sagt von diesem Buch, daß es ein Vorläufer Camus und Sartres sei, wie man dies von „Ferdydurke“ Gombrowicz's tat. Ohne Zweifel nahm die existentialistische Literatur in Wirklichkeit dort ihren Anfang, wo - lange bevor uns das hier bewußt war - die Absurdität des Lebens, das Gewicht der Geschichte, die einzige Realität, die von Ereignissen des täglichen Verhaltens des Einzelnen geprägt wird, sich mit größerer Kraft aufdrängt. Daß Krleža, wie Gombrowicz, ein Vorläufer der existentialistischen Literatur war, kommt vor alem daher, daß sich diese beiden früher als wir, an der Nahtstelle gegensätzlicher Kulturen befanden, die sowohl den einen, als auch den anderen dazu zwangen, alles in Frage zu stellen.
Jean Bloch-Michel
„Zwischen Gogol und Kafka“, „Le Figaro littéraire“, 23 - 1 Ill. 1970
Von einem Veteranen der serbo-kroatischen Literatur kommt ein Werk voll Gegensätzlichkeit, Gewalttätigkeit und Zweideutigkeit. Dieser Roman wurde 1938 inmitten einer bürgerlichen Gesellschaft veröffentlicht. In einer beengten Provinzstadt kommt ein Mann in seine Fünfziger und erklärt plötzlich: „Ich spiele nicht mehr mit“. Seine Anklage richtet sich gegen Niedertracht, Hypokrisie, skrupelloses Aufsteigertum, mit einem Wort, er bricht mit den sozialen Spielregeln. lst es ein von Gnade erleuchteter Don Quichotte? Ist es ein aus dem Gleichgewicht gekommener Neurastheniker? Das zu beurteilen bleibt dem Leser überlassen. Seine Familie und ein ganzer Mob von Anhängern der etablierten Ordnung überschütten ihn mit einer Lawine von Beschimpfungen und verfolgen ihn bis zum letzten Atemzug. Trotz einiger Längen überwiegt das Feuerwerk des Sarkasmus – das Buch ist in der Nähe eines Gogol und Kafka anzusiedeln. Miroslav Krleža geiselt die Schändlichkeiten des bürgerlichen Lebens. Er ist ein Romancier großer Dimmension.
Robert Sabatier
„Ein Dissident“, „La Quinzaine littéraire“, 16 - 31. Ill. 1970
Dieser symptomatische Roman erzählt die Geschichte eines Mannes, der 30 Jahre lang dahindämmert und dann plötzlich erwacht, aufsteht und auf den Anstoß einer kleinen logischen Wahrheit hin, die so logisch und klar ist wie sie nur sein kann, beginnt er mitten im Chaos zu agieren. Dafür daß er einem omnipotenten „nationalen Wohltäter“ einer Provinzhauptstadt gesagt hat, daß er ein »Krimineller und Verderbterx sei, da er sich rühme vier Bauern, die versucht hatten ein paar Flaschen Wein zu stehlen, umgebracht zu haben, sieht sich der sakrilegierte Held Krležas, ein Advokat, der bis dahin ein Leben als wohlgeordnete Null unter wohlgeordneten Nullen gelebt hatte, einen Skandal entfesseln, der ihn um seine Stellung, seine Familie, Hab und Gut bringen, von Gefängnis zu Gefängnis führen und schließlich vom Krankenhaus in eine „Nervenklinik“ schicken wird.
Die Beweisführung liegt sowohl auf sprachlicher Ebene, als auch auf der formalen Romanebene. „Ohne mich“ ist wie ein Puzzle konstruiert und nähert sich eher dem „Status der Frage“, als einer Freske im traditionellen Sinne. Einige Kapitel sind wahre Meisterwerke einer vielgestaltigen Inspiration. Dieser „Visionär“ der jugoslavischen und slavischen Literatur präsentiert sich heute dem französischen Publikum mit einem seiner vielleicht eindringlichsten Werke.
Vladimir Balvanovitch
„Ohne mich“ von Miroslav Krleža, „Combat“, 5. ll. 1970
Es wäre vielleicht ein wenig zu einfach in diesem bemerkensvverten Buch nichts mehr zu sehen, als die simple Karikatur der Gesellschaft einer kleinen Stadt im Osten. In Wirklichkeit ist es eine Demaskierung, die der Autor am Beispiel der „menschlichen Dummheit“ zeigt, die sowohl den Osten als auch den Westen plagt, genauer gesagt überall dort, wo der Kleinbürger naiv genug ist das Spiel der Großen und Machtigen mitzuspielen...
Bekanntlich macht sich die Wahrheit schlecht bezahlt und Krlezas Protagonist wird seine Existenz unter Geisteskranken beschließen, als Abbild eines Nichtkonformisten, der aus der Gesellschaft ausgeschlossen wurde. Knirschender Humor zeigt sich auf jeder Seite und bringt das Räderwerk der Verhaltensweisen bestimmter Gesellschaften zum Vorschein, die Weil sie zu sehr der Zivilisation nachlaufen, der Dekadenz verfallen... Und noch etwas, könnten nicht auch wir uns 30 Jahre nach der Vollendung dieses Werkes fragen, ob wir unsererseits eine Evolution durchgemacht haben, die uns über die Situation zum lächeln bringen müßte oder aber in Besorgnis, wenn wir in den Spiegel sehen und uns fragen, ob es nicht gut wäre die Spielregeln zu revidieren und die Masken herunter zu reißen.
Michel Bourgois
„Der Einzelgänger, der Bauer und der Sperling“, „Les lettres francaises“, 1. V. 1970
„Ohne mich“, ein Monolog voller Risse, eine Art wilden Protestes, der im Kreise geht und sich im Sand verliert, eine Art wirren Geschwätzes, wo sich in großen Zugen die Absurdität der Existenz abzeichnet. ich sehe, daß man dieses Werk Krležas bei Kafka ansiedeln möchte, und das finde ich falsch! Die Absurdität hier mündet weder in einer allgemeinen Aktion, noch in Metaphysik. Es ist nicht die menschliche Bedingtheit, die in Frage gestellt wird, sondern die Lage des Menschen in einer gegebenen Gesellschaft. Dies ist die Gesellschaft der durch das Aufkommen des Faschismus in Deutschland und Italien bewegten Jahre, des spanlschen Bürgerkrieges und des Münchner Abkommens. Der Held Krležas erwacht in dem Moment zum Bewußtsein, da er das hohnvolle soziale Doppelspiel um sich herum durchschaut. Der bedrückende, gequälte Aspekt des Buches ist ein scharfes Spiegelbild der Jahre, in denen es geschrieben wurde, da hat es seinen Ausgangspunkt; es kommt aus der Revolte, die zu ihrem eigenen Prozeß wird. Das, was den Helden in die endgültige Verzweiflung treibt, läßt sich inwenigen Worten sagen, und zwar: „Ich weiß nicht, was ich will, das ist es. Ich weiß, was ich nicht will, aber das hat nicht viel zu bedeuten. Diesem Menschentypus, abgestumpft durch das Funktionieren der Funktionäre in der Mühle der Gemeinheiten, müßte man einen anderen Typus entgegenstellen, der fähig wäre, die Dummhheit zu besiegen. Die Wahrheit ist eigentlich die, daß man wissen müßte, was man wollen sollte. Die seltsame Reise des Helden Miroslav Krležas, dieses Fünfzigjährigen, der entschlossen ist „nicht mehr mitzumachem und seine Zerissenheit, hier müssen wir sie finden: in dieser zornigen Unmöglichkeit des Seins.
Hubert Juin
Die Balladen Krlezas, „Le Monde“, 4. Vll. 1975
„Die Balladen des Petrica Kerempuch“ von Miroslav Krleza, Sammlung UNESCO repräsentativer Werke. Publications Orientales de France. Aus dem kajkavisch-kroatischen übersetzt von Janine Matillon.
Ähnlichkeiten und Übergänge zwischen einem literarisch aufgegebenen idiom und einer modernen Literatursprache, welche immer wieder von diesem zehrt, erlauben es Krlezas Virtuosität mit den sprachlichen Grenzmöglichkeiten über und hinter dem Wort zu spielen. Dabei kommt mehr als ein Problem auf, das in der Folge die Linguistik zu lösen haben wird. Dieser Schriftsteller der „Linken“ offenbart ein Engagement, das viel tiefer liegt, als man dies gewéihnlich unter diesem Terminus erwarten würde: ein wahrhaft schöpferisches Unternehmen! Petrica Kerempuch, eine Art Bänkelsänger, Till Eulenspiegel verwandt, singt mit einem lachenden und weinenden Auge, mutwillig und beladen, spielerisch und schwerfällig, voller Vorahnungen, mit knarrigem Humor und makabren Höhenflügen. Ein Gesang in dem alles vermischt ist, bäuerliche Schnurre - also quasi Weisheit - bunte Jahrmarktbilder, die Strenge alter Zauberbücher, folkloristische Schalkhaftigkeit und Fiafinesse der Hochkultur: das kroatische Volk wird mit den blutigen Bauernkriegen seiner Geschichte konfrontiert, mit seinem eigenen Schicksal. Dabei sind wir weit davon entfernt - und das soll unterstrichen werden - Schemata aufzustellen, oder billige Populismo Propaganda zu betreiben.
Die „Balladen“ wurden lange Zeit für unübersetzbar gehalten, zumal in Sprachen ohne dialektales oder literarisches Adstrat. Nach Übersetzung ins Ungarische, Ukrainische und teilweise ins Deutsche, bietet sich nunmehr dieses erstaunliche Werk dem französischen Leser dar. Janine Matillon, die sich einige Jahre mit diesem Buch befaßt hat, ist dieses Wunder gelungen.
Predrag Matvejević
„Der kroatische Gott Mars“ „Eine tragischefund groteske Welt“, „La Quinzaine littéraire“, 16 - 21. I. 1972.
Wenn wir nach den Novellen in „Beisetzung in Theresienburg“ versucht waren in Krleža einen phantastischen Vervandten Kafkas zu sehen, drängt sich mit der „Rückkehr des Filip Latinovicz“ und dem „Bankett von Blitwien“ alsbald ein anderes Bild von ihm auf, nämlich das eines klassischen Romanciers, besessen von existentieller Angst, oder voll urwüchsiger lyrischer Epik. „Ohne mich“ aber taucht uns danach in tiefsten schwarzen Humor, in eine absurde Welt, in der selbst die Sprache verrückt spielt.
Mit dem „kroatischen Gott Mars“ kehren wir zu den Quellen, zum Ursprung zurück, denn die vier Novellen dieser Sammlung - geschrieben während des Krieges 1914-1918 - sind die ersten publizierten Texte Krležas. Man erkennt hier bereits - und zwar mehr als nur im Ansatz - in den königlich-ungarischen Domobranci die munitiöse Schrift, die präzise Beschreibung, die geradezu zur Besessenheit wird. In der Schlacht von Bistrica Lesna die Aufdeckung der absurden Mechanismen der Gesellschaft, die Fatalität, die auf dem einfachen Menschen lastet, im Tod des Franjo Kadaver ein halluzinatives Bild, surreal und furchtbar vom Bösen und vom Laster einer Menschheit überwuchert, die in einer Falle gefangen ist. All das wird später die verschiedenen Werke des Autors charakterisieren. Hier findet man bereits diese schaudernde Unruhe und diese Zügellosigkeit der Sprache, die sein Werk begleiten sollten, es unterwandern und ihm, trotz der verschiedenen Masken, eine geheimnisvolle Einheitlichkeit verleihen werden.
Die vier Novellen der Sammlung sind nicht von gleicher Oualität. Die kürzesten sind es, in denen die Eigenart des Autors am stärksten zum Ausdruck kommt. Sie sind auch die episodenreichsten, dutzende von Schicksalen werden in ein und dasselbe Tuch verwebt, und das immer vor ein und demselben Hintergrund: dem Krieg.
Die Schrecken des Krieges, die blinde Dummheit der Militärs werden quer durch das Leiden und den Verfall der Menschen aufgezeigt. Blut, Eiter, Schleim, stechender Schmerz - und als Gegengewicht ein Aufbäumen der Instinkte. - In den Sanitätsstationen an der Front stürzen sich Syphilitiker auf Obszönitaten, Fotos von Verwundeten, Alkohol und die Krankenschwestern, während der Direktor - Herr Graf - und die Herren Offiziere und Ärzte sich bei feindlichen Otfensiven zurückziehen und die Leute sich selbst überlassen. ln einem gedrängten, rohen Stil wirft uns Krleia mitten in die tragische groteske Welt einer Menschheit - ungeheuerlich und pathetisch - die ihre Angst vor einem unverständlichen Tod in Alkohol oder hysterischem Gelächter ertränkt. „Der kroatische Gott Mars“, das Werk eines Absolventen der österreichisch-ungarischen Militärakademie, ist mit Célines „Le Voyage au bout de la nuit“ zweitellos eines der aufrichtigsten und grausamsten Bücher, die je gegen den Krieg geschrieben wurden. indem er sich von seinen Wahnvorstellungen und seinem Haß befreit, von seiner tragischen Wahrheit, behauptet sich der Schriftsteller Krleža selbst. Und das, war er sagt - autgestiegen aus den Untiefen des Schreckens - müßte in den Generalstaben der Armeen überdacht werden.
Claude Bonnefoy
„Verschiedene Fleischfresser“, „Les lettres francaises“, 19. Il. 1972
1957 erstmals ins Französische übersetzt, ist Krleža nun dem französischen Publikum zugänglich. Predrag Matvejević, Verfasser des Vorwortes zu „Der Kroatische Gott Mars“, bedauert diese Verspätung, mit der häufig slavische Werke entdeckt werden, nicht ohne Grund. So bedurfte es also mehr als 50 Jahre, damit wir drei der vier Novellen aus dieser Sammlung lesen können [eine davon war 1957 von „Les Lettres Nouvelles“ veröffentlicht worden, wie uns Predrag Matvejević mitteilt, doch muß ich gestehen, daß ich mich nicht daran erinnern kann).
Doch bereits mit diesen Novellen hatte Krleza eine Meisterschaft der Erzäihlung und Sprache unter Beweis, die in seinen weiteren Werken durch kein noch glänzenderes Beispiel übertrotien wird. Das ist jedenfalls der Eindruck, den uns die französische Übersetzung vermittelt... Wenn die Absurditiät in „Baracke 5 b“ sozusagen in der Luft hängt, so erfaßt sie im „Tod des Franjo Kadaver“ die ganze Breite, sie eröffnet und schließt sich mit einem Selbstmord. Die Geschichte passiert in einem Infektionspavillon eines Lazarettes. Der Selbstmörder hat sich die Kehle durchschnitten - diese klaffende Wunde wird zum Schauspiel für die Mädchen von Draußen. die mit den Patienten Mitgefangene der Situation sind. Kadaver selbst bleibt in sein Gebet vertieft: für die Sünde, die ihn hierher gebracht hat, für den Ausbruch der letzten Nacht, für alle Sünden - vergangene, gegenvärtige und zukünftige. Absurdität kennzeichnet das Leben des Franjo Kadaver, umso krasser, da er sie nur als Siinde wahrnehmen, sie nicht einmal benennen, ja nicht einmal identifizieren kann, dabei ist er ihr Opfer wie alle anderen auch.
Der Schriftsteller hat einen grausamen Sinn für das Bildhafte, einen der verblüfft, und es bedarf keiner großen Vorstellungskraft, um eine Welt erstehen zu lassen, die von halluzinativer Absurdität, Gemeinheit und Brutalität strotzt. Das sind Krlezas Themen vom Absurden, der Verfremdung, dem Ekel.
Anne Villelaur
„Der kroatische Gott Mars“, „Le Canard enchainé“, 22. XII. 1971
Zahlreiche französische und deutsche Schriftsteller haben mit viel Talent die Schrecken des Krieges nachgezeichnet. Aber sie haben fast immer - implicite oder explicite - einen Anstrich von Romantik, eine Prise Größe, einen Versuch der historischen Rechtfertigung hineingebracht. Also bleibt ein Verdacht der Nostalgie. Der große jugoslavische Schriftsteller aber sieht im Krieg nichts anderes als den verabscheuungswürdigen Ausdruck einer pyramidalen, ungeheurlichen und absoluten Dummheit. Ein Meisterwerk, dessen Galgenhumor uns das Herz zum Stehen bringt.
Roger Semet
„Der kroatische Gott Mars“ von Miroslav Krleza, „Nouvelles Littéraires“, 31. I. 1972
In der Art seiner slavischen Brüder, läßt der Kroate Krleza in seinem Werk die Hoffnungslosigkeit und das Elend der Existenz zum Vorschein kommen. Und was könnte es elenderes geben, als ein Kriegslazarett während des 1. Weltkrieges! Hier wird die Welt und ihre Tragödie durch ein Meer von Blut, Gestank und Scham in Falschheit verkehrt. Doch es kommt trotzdem vor, daß die Gleichgültigkeit von einer Art Schaudern geschüttelt wird. Die Voraussetzungen der Revolution sind also bacchanalisch, ein Höllenlärm, der endet wie er begonnen hat - nämlich grundlos. Die „Mütter unserer Scharfrichter“ aber setzen sich wieder an den Tisch des Grafen Axelrode - den Großmeister des Tages. In der „Poulette“ aber, diesem anderen Lazarett - im lnfektionspavillon - erblickt der Soldat Kukec mit einem Mal das Licht des Tages. Er verbreitet das gute sozialistische Wort und fordert seine Mitbürger auf, die Schatten des Mittelalters zu verjagen; dies aber treibt letztlich Franjo Kadaver zur Verzweiflung, und er hängt sich lieber auf, als daß er es dem anderen erlauben würde, seinen naiven Glauben zu verhöhnen. In einem Ton, in dem Derbheit und analytische Finesse wetteifern, hatte Krleza die stolze Unverfrorenheit, 10 Jahre vor Céline, eine Galerie von „Toten auf Kredit“ schonungslos zur Schau zu stellen.
Bernard Vives
„Der kroatische Gott Mars“ von Miroslav Krleza, „Combat“, 10. ll. 1972
Obwohl die vier Novellen des „Kroatischen Gott Mars“ während des 1. Weltkrieges geschrieben wurden, ruft ihre Lekture bereits ein einstimmiges Urteil hervor: eine glänzende Meisterschaft - und nicht weniger signifikant - ein außergewöhnlich persönlicher Zutritt. Die Absurdität und die Schrecken des Krieges, die Dummheit der Militärs, das Elend der Lazarette, wo Syphilitiker und Krüppel im Namen eines patriotischen Pseudoopfers gemeinsam agonisieren, zeichnen bereits vollständig den Weg, den Krleza auch später einschlagen wird. In der Tat, der dominierende Eindruck bei der Lekture dieser Erzählungen, ist der einer tragischen Welt, verdammt zur Absurdität. Und diese absurde Grausamkeit einer Welt, die aus Menschen Automaten macht - versklavt von Kriegen und Parteien - finden wir ebensogut in der „Rückkehr des Filip Latinovicz“ [geschrieben 1932, in französischer Übersetzung bei Calman-Levy 1958), als auch in „Ohne mich“ [geschrieben 1938, französisch Seuil 1970), und sie nährt mit großer Heftigkeit Krlezas eklatante Hevolte, seine unglaubliche Herausforderung an die menschliche Dummheit. Man muß sich zum Erscheinen dieser Novellen in Frankreich beglückwunschen [ausgezeichnet übersetzt von Janine Matillon und Antun Polanšćak). Sie sind in allen Hauptanliegen des Werkes Krlezas von einem bemerkenswerten Reichtum, der über die slavische Sphäre hinausgeht - um es klar auszudrücken - das Werk findet seine Placierung in einem internationalen, wenn nicht internationalistischen Kontext.
Michel Bourgois
Aus dem Französischen von Katja Sturm-Schnabl
Ein Museum in Zagreb zeigt, was von der Liebe übrig blieb.
Nur wenige Kilometer von der Stadt Korčula entfernt, am östlichen Ufer der gleichnamigen Insel, liegt das Dorf Lumbarda. Vor mehr als zweitausend Jahren war Lumbarda eine Gemeinde der griechischen Kolonie der Insel Vis.
Im Jahr 1877 entdeckten Archäologen in Lumbarda eine antike Steinschnitzerei, das als Lumbarda-Psephisma bekannt wurde.
Modernisierer, Kollaborateure, Faschisten: Die Geschichte und die Wahrnehmung der Balkandeutschen ist vielfältig und bis heute mit Tabus belegt. In den letzten Jahren sind sie jedoch zum Thema der kroatischen Literatur geworden.
Von Martin Sander und Ksenija Cvetković-Sander / Deutschlandfunk kultur
"Und du willst nach Senj, Thilo?“
Ja. Ich wollte trotz des touristischen Überangebot Kroatiens jene Stadt sehen, in die der von den Nazis verfolgte Kurt Held und seine Frau Lisa Tetzner 1940 kamen und Inspiration zum Verfassen der „Roten Zora“ erhielten.