Prosa

Darko Šeparović: Blutkreislauf

Darko Šeparović wurde 1987 in Vela Luka auf der Insel Korčula geboren, wo er auch aufwuchs. Er absolvierte ein Architekturstudium in Zagreb. Er schreibt Lyrik, Prosa und Literaturkritik. Er ist zuerst als Lyriker in Erscheinung getreten. Das Lyrikmanuskript „Autopilot“ erhielt den Preis für unveröffentlichte Manuskripte Na vrh jezika (Auf der Zungenspitze) und wurde daraufhin 2015 als Buch veröffentlicht. 2018 Veröffentlichung des Romans „Krvotok“ („Blutkreislauf“) in dem der Lyriker immer noch durchscheint. Er besitzt einen Bootsführerschein, lebt aber trotzdem auf dem Festland, in Zagreb.



 

Auszug aus dem Roman „Blutkreislauf“.

Aus dem Kroatischen von Klaus Detlef Olof.

 

 

Er kam zurück, allerdings viel früher als ich erwartet hatte.

Langsam baute er seine Kolonie aus, vermehrte sich parasitär in Wellen, deren Kraft nicht abnahm, er kroch und eroberte alles, was sich vor ihm befand. Einer seiner Würfe war aufgrund von noch ungeklärten Umständen auf mich übergegangen.

Am Anfang lebten wir in einem bestimmten Respekt voreinander, einer Geduld, deren Ende absehbar war.

Der gegenseitige Respekt hielt so lange an, bis er beschloss, mich, die Aminosäure, zur Gänze zu fressen.

Ich muss noch einmal erwähnen: er griff mich auf mathematische Weise an, er ließ mir nicht den geringsten Manöverspielraum, innerhalb dessen ich genügend Raum für die Lungenflügel gehabt hätte, für ihr Weiten, so wie die Allergien im Frühjahr, aber dies war kein Frühjahr.

So hatten mir die Ärzte gesagt, und das mit dem Frühjahr hatte ich begriffen, denn der Kalender hing im Zimmer, und jemand steckte jeden Tag das kleine rote Quadrat weiter, das die Tage in der Woche einrahmt.

Mein Ignorieren der Anwesenheit des Parasiten dauerte lange, und als ich mir seiner bösen Absichten und seiner Entschlossenheit bewusst wurde, war der Raum, den er inzwischen okkupiert hatte, unwiederbringlich verloren. Ich fand mich eingezwängt zwischen Decke und Boden wieder, im Volumen eines Zimmers, dessen Nummer ich nicht kenne.

Bisher habe ich einige Dinge über den Parasiten gelernt, zum Beispiel, was ihn alles in Bewegung setzt, welche Situationen und Handlungen das sind, Augenblicke der Unaufmerksamkeit, die ihn veranlassen, neues Territorium zu erobern.

Gehen wir Reihe nach:

Gläser, die du in dem Augenblick siehst, wenn sie fallen, wenn du nichts tun kannst, um ihr Zerspringen zu verhindern, Abende, die sich in nicht ausgeschlafene Morgen erstrecken, häufige Wechsel der klimatischen Bedingungen, verursacht durch den unbeschreiblichen Wunsch, irgendwohin zu gehen, obwohl es für ein Weggehen keinen Grund gibt, Reisen und immer wieder Reisen, dieses Weggehen ins Unbekannte, das Gefühl, dass sich unser Leben nur in den Augenblicken weiterbewegt, in denen wir uns nicht in einer bekannten Umgebung aufhalten, das Suchen seiner selbst und das Erzählen von dieser Suche, unwichtiges Geschwätz, stimuliert durch ein koffeinhaltiges Getränk, falsches Mitgefühl, Asche, die den Aschenbecher verfehlt, tagtägliche Revolutionen kleineren Umfangs, die Art und Weise, wie dich nahestehende Personen zu ändern versuchen, die Säure von Obst, Alkoholausdünstungen in Krankenhauskorridoren, Versuche des Eroberns von Berggipfeln und Erzählungen über das Erobern von Berggipfeln, Verwendung von Ausdrücken, die sich nicht übersetzen lassen, konstantes Erzählen des Mythos von einer Person, die in dem Augenblick mit dem Zug ankam, als niemand auf dem Bahnhof war, feng shui, Transport von Möbeln durch zu enge Korridore des Hauses, Wiederholung des Wortes Immobilie, Immobilie, jener Augenblick wenn du ins dunkle Zimmer trittst und mit den Fingern den Lichtschalter an der Wand suchst, die Tinte, die ein Tintenfisch von sich gibt, die Krähen auf den Marktplätzen, Namen, die mit dem Buchstaben K beginnen und das Syntagma zu mir, Lösung der Wohnungsfrage, der Frage als solcher, die Tür, die ich mit der linken Hand öffnen muss, Spaziergänge durch Großstädte wie durch Vorstädte, Tourismus, Irrtum bezüglich Glück auf sommerliche Urlaubsfotos, eine Handschrift, die ich nicht entziffern kann, tote Nashörner, Zuspätkommen zu Verabredungen, etwas vom Bäcker, Meetings gleich welcher Art, Fernsehen an Regentagen, an ein kaltes Geländer fassen, Frühstücke und Orangensaft, das Wort Zufluchtsort, die Bläschen in kohlensäurehaltigen Getränken, das Gehen auf einem Bein, Kollektivismus, das unwiederbringliche Gefühl der Leere, wenn dich jemand aus der Wohnung wirft und vielleicht der wichtigste Grund für die Geburt des Parasiten – die Ahnung, dass du immer noch etwas mehr machen kannst.

Der Parasit fürchtet sich vor nichts, einfach vor gar nichts.

Die Erfahrung hat gezeigt, dass ihn manche Handlungen verlangsamen, ihn auf bestimmte Weise entmutigen können.

Ich versuchte es mit Gehen auf den Fliesen, aber nicht egal was für Fliesen. Ihre Stärke muss mindestens 1,5 cm betragen, sie müssen fettig und grün sein, richtige Krankenhausfliesen, eingetunkt in eine dicke Schicht Kleber. Sie dürfen nicht im direkten Kontakt mit der Erde sein, insbesondere keine Wärme ausstrahlen, zum Beispiel von der Bodenheizung oder einer zufällig vergossenen Suppe. Ihre Glätte muss beständig sein.

Auf ihnen muss man äußerst vorsichtig gehen; im gegenteiligen Fall würde der parasitäre Körper spüren, wie versucht wird seine Eroberungsabsicht zu vereiteln. Zum Gehen eignen sich am besten dünne Pantoffel, Hotelpantoffel, weiß, in denen der Abstand zwischen den Sohlen und den Fliesen auf das geringstmögliche Maß reduziert ist. Vergessen Sie das Gehen mit bloßen Füßen – Ihre Fersen werden Geräusche hervorbringen, die den Parasiten zusätzlich anregen.

Innerhalb unseres Körpers verbreiten sich Geräusche wie Erdbeben, die Hämmer in den Ohren erzeugen Vibrationen, und dann breitet sich im Körper eine zerstörerische Kakophonie aus und findet keinen anderen Ausgang als durch die offenen Wunden.

Mein Zimmergenosse Vori erzählte mir, dass er einmal mit der Faust auf den Tisch geschlagen habe, worauf sich das Geräusch des Fingerbrechens zwei Wochen lang in ihm ausgebreitet habe, worauf er beschlossen habe, dem ein Ende zu machen und das rechte Handgelenk mit dem Küchenmesser abzutrennen. Das Spritzen des Blutes habe er nicht gespürt, nur die Kälte sei ihm durch die Augen gedrungen, als er dem Blut zusah, das den Körper verließ.

Wenn Sie die passenden Pantoffel gefunden haben, können Sie anfangen zu gehen, vorsichtig, den präzisen Anweisungen folgend. Wenn Sie ganz mutig sind und gehen auf den Gang hinaus, vermeiden Sie es, anderen Menschen in die Augen zu sehen.

Sehen Sie zu Boden.

Am meisten empfiehlt es sich auf die Fliesenfugen zu sehen; so ist der Blick die ganze Zeit auf eine Linie gerichtet. Das Fugenraster ist kontinuierlich, es hat seine klar definierten Regeln, Sie können sie auch zählen.

Alles das sind Details, die den Parasiten beruhigen.

Es hilft auch, wenn die Decke aus leichten Gipskartonplatten gemacht ist, die im Raster parallel zu den Fliesenfugen angeordnet sind. Alles was geordnet ist, ermöglicht ein schärferes Nachdenken.

Gestern ist es mir gelungen, 423 Fugen zu zählen, wonach ich zwei Menschen auf dem Gang wiedererkannt habe, aber sobald ich stehen geblieben war und versucht hatte, mich ihnen zuzuwenden, hatte ich vergessen, was ich sagen wollte.

Ziel der Therapie durch Gehen ist es, beim Parasiten das Gefühl der Einsamkeit zu schaffen, durch Gehen einen dumpfen Blick in nicht definierter Richtung beizubehalten. Ganz einfach, es muss Ihnen völlig egal sein, dass sie angegriffen worden.

Solange der Gefräßige im Körper ist, muss das Sprechen auf ein Minimum reduziert werden. In einer Zeit des allgemeinen Plapperns, Kommentierens und Kommentierens des Kommentierten sollte der Angegriffene sich so still wie möglich verhalten.

 

   

 

 

 

 

 

 

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Maurice Nadeau widmet (u. d. T. „Ein großer jugoslavischer Schriftsteller“) im „France Observateur“ vom 20. Juni 1956 eine ganze Seite dem Erscheinen der Novellensammlung „Beisetzung in Theresienburg“. Daraus einige charakteristische Passagen: Für viele wird die Novellensammlung „Beisetzung in Theresienburg“ zu einer wirklichen Offenbarung werden...

Der Text ist ursprünglich in der Literaturzeitschrift Most/The Bridge (Heft 3-4, 1979) erschienen.

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